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Babel



Land: USA
Laufzeit: 144 Minuten
FSK: 16
Starttermin: 21. Dezember 2006

Genre: Ensemble-Drama

Regie: Alejandro González Ińárritu
Drehbuch: Guillermo Arriaga Jordan
Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Rinko Kikuchi, Kôji Yakusho, Boubker Ait El Caid, Said Tarchani, Adriana Barraza, Elle Fanning, Nathan Gamble, Gael García Bernal, Robert Esquivel
Kamera: Rodrigo Prieto
Schnitt: Stephen Mirrione
Musik: Gustavo Santaolalla








21 Gramm ist - sofern man Alejandro González Inárritu Glauben schenkt - nicht nur das Gewicht, das der Mensch im Augenblick seines Todes verliert, sondern auch der Titel von Inárritus letztem Film. Das häufig als Meisterwerk bezeichnete Drama sah sich jedoch auch einigen kritischen Stimmen gegenüber, die unter anderem bemängelten, dass die hochkomplizierte, nicht chronologische Erzählweise - anders als beispielsweise das Rückwärtserzählen bei "Memento" - durch die Thematik des Films nicht gerechtfertigt ist. Nach der Betrachtung von "Babel" und den damit einhergehenden Erkenntnissen lässt sich jene Vorgehensweise in "21 Gramm" in einem anderen Licht sehen: Die nicht vorhandene Chronologie könnte dem Zweck gedient haben, den Zuschauer von der vielleicht nicht wahnsinnig starken Story abzulenken und ihn stattdessen damit zu beschäftigen, die vorgesetzten Puzzle-Teilchen zusammenzufügen. "Babel" kommt nun fast ohne Chronologie-Mätzchen aus - ein Aspekt, der ihn zu einem schlechteren Film als "21 Gramm" macht und gerade in der zweiten Hälfte einige Schwächen offenlegt.

Ein Schuss und seine dramatischen Folgen: In der Wüste Marokkos testen zwei Kinder (Said Tarchani und Boubker Ait El Caid) die Zielgenauigkeit und Reichweite eines neuen Gewehrs aus, indem sie auf einen Reisebus zielen. Teilnehmer dieser Fahrt sind auch Richard (Brad Pitt) und seine Frau Susan (Cate Blanchett) - eine Art vergeigter Versöhnungsurlaub. Susan wird von einer Kugel getroffen und benötigt dringend medizinische Hilfe, doch befindet sich das nächste Krankenhaus vier Stunden entfernt. Der Bus steuert das Heimatdorf des Reiseführers an, um Susan von einem Arzt notdürftig behandeln zu lassen. In den USA kann in Folge dessen das Kindermädchen (Adriana Barraza) von Richard und Susan nicht zur Hochzeit ihres Sohnes und beschließt kurzerhand, den Jungen (Nathan Gamble) und das Mädchen (Dakota Fannings Schwester Elle) mitzunehmen - nach Mexiko. Scheinbar in keinem direkten Zusammenhang zu dieser Geschichte steht die Episode in Japan, die vom taub-stummen Teenager Chieko (Rinko Kikuchi) erzählt, die sich nur in Gebärdensprache ausdrücken kann und dadurch an einem normalen Leben scheitert.

Der Filmtitel "Babel" lässt sich zum einen auf den Turmbau aus der Bibel beziehen, an dessen Ende die Mehrteilung der Sprache stand (denn sowohl in Marokko, als auch in Japan und Mexiko/USA stehen jeweils zwei Sprachen im Fokus (in Japan als Zweite die Gebärdensprache)), zum anderen sicherlich aber auch mit dem Begriff des "Sündenbabel" in Verbindung bringen (Ahmed schaut beispielsweise seiner Schwester durch ein kleines Loch in der Wand beim Umziehen zu). Die anfängliche Faszination dieses Films ergibt sich jedoch nicht einmal aus diesen Zusammenhängen, sondern den unterschiedlichen Themen, denen sich die einzelnden Episoden widmen.

Nie wirklich in Schwung kommt die mit Abstand schwächste Episode von "Babel", nämlich jene, die das Kindermädchen Amelia nach Mexiko begleitet. Hier und da ein guter Moment, aber in der Gesamtbetrachtung lässt sich für diesen Teil der Erzählung nur sehr schwer Interesse aufbringen. Deutlich besser steht es da schon um die beiden in Marokko angesiedelten Episoden, die sich mit den unmittelbaren Folgen des Gewehrschusses befassen, einerseits mit den Fragen "Wie geht es Susan?" und "Was unternimmt Richard?", andererseits aber auch mit dem Verhalten der Kinder sowie den Auswirkungen auf deren Familie.

Die stärkste Episode spielt in Japan - aus mehreren Gründen. Taubstumme Menschen sind nicht gerade das dominierende Thema im Kino; eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen ist es noch weniger. In "Babel" steht Chieko, die sich nur mithilfe der Gebärdensprache verständigen kann und zudem von den Schatten ihrer Vergangenheit verfolgt wird, ganz im Mittelpunkt der Japan-Episode. Als Zuschauer nimmt man an den Rückschlägen des Teenagers teil, die ihr die Illusion eines einigermaßen normalen Lebens ständig zerstören, erfährt von ihren Bedürfnissen und kann den ganzen Kummer auf dem Gesicht der Darstellerin Rinko Kikuchi ablesen. Chieko ist der mit Abstand am Besten herausgearbeite und faszinierendste Charakter. Hinzu kommt der Fakt, dass die Japan-Episode die wohl beeindruckendste Sequenz des Films zu bieten hat - ein Ausflug Chiekos ins Night-Life, verbunden mit einem Wechselspiel der Sichtweisen: die neutrale Sicht des Beobachters, aber auch Chiekos persönliche Sicht, wenn sämtliche Geräusche abrupt verstummen und man die Eindrücke des tauben Mädchens wirklich "fühlt".

Bis zur Hälfte ist "Babel" ein richtig starker Film, doch dann kommt es zum entscheidenden Wendepunkt: Inárritu und sein Stammautor Guillermo Arriaga Jordan scheinen plötzlich der Stärke ihrer Geschichte nicht mehr vertraut zu haben und der Meinung gewesen zu sein, noch einmal zusätzliche Tragödien auffahren zu müssen. Keine Katastrophe ist plötzlich mehr groß genug mit der Konsequenz, die gegenteilige Wirkung des sicherlich Beabsichtigten erreicht zu haben. Hollywood scheint das Zepter übernommen zu haben, denn Vorhersehbarkeit regiert plötzlich in allen Episoden das Geschehen. Mit dem Knackpunkt in der Mexiko-Episode verrät sich Inárritu, so dass abzusehen ist, dass er auch in allen anderen Teilen der Erde nun aufs Ganze gehen wird. Es ruft schon fast Wut hervor, wie leichtfertig die Glaubwürdigkeit einer gut konstruierten Geschichte hier nicht nur auf's Spiel gesetzt, sondern leider sogar geopfert wird - auch wenn mir die Auszeichnungen, die "Babel" dieses Jahr in Cannes erhalten hat, da widersprechen mögen.

Die einzige Episode, die nicht den Bach runter geht, ist jene um Susan und Richard, was mich gleich dazu führt, Brad Pitt die beste schauspielerische Leistung in diesem Film zu attestieren. Zwar kann beileibe nicht davon die Rede sein, dass er allen anderen die Schau stiehlt, doch wirkt die Bandbreite an Emotionen, die er hier auffährt, immer noch am Stärksten - ein erneuter Beweis dafür, dass Pitt - im Gegensatz zu einigen anderen seiner Kollegen - nicht nur gut aussieht, sondern es auch einfach drauf hat. Auch die großartige Leistung von Rinko Kikuchi, der die Japan-Episode viel von ihrem Status als beste Episode zu verdanken hat, sollte an dieser Stelle noch einmal Erwähnung finden. In so einem großen Cast lässt sich dann aber auch tatsächlich ein Ausfall finden, nämlich Adriana Barraza, deren Kindermädchen man die Emotionen im späteren Verlauf der Mexiko-Episode nicht mehr so recht abnehmen kann.

Der Eindruck, den man nach gut einer Stunde gewonnen hat, nämlich dass "Babel" seinem an sich schon starken Vorgänger "21 Gramm" überlegen ist, lässt sich leider nicht bis zum Ende aufrecht erhalten. Inárritus sechstes Werk beginnt sehr vielversprechend, mit einer glaubwürdigen Figurenzeichnung und einem interessanten Kulturen-Clash, innerhalb der Episoden, aber auch wenn man die Episoden einander gegenüberstellt. Die zweite Hälfte von "Babel" scheitert jedoch, weil Inárritu zu viel in die Geschichte hineinstopft (auch "21 Gramm" hat phasenweise darunter gelitten) und auch der eine oder andere Dialog nicht überzeugen kann (dem ersten Gespräch zwischen Pitt und Blanchett geht jede Natürlichkeit verloren, weil Inárritu so viele Hintergrund-Informationen über die Charaktere wie möglich hineinstopfen musste). "Babel" ist kein schlechter Film, aber in Anbetracht der Erwartungen, die Inárritus Filmographie sowie die erste Hälfte dieses Werkes haben aufkeimen lassen, im sich dem Ende zuneigenden Kinojahr noch einmal eine mittelschwere Enttäuschung.



Note: 3+



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