Archiv


Kritiken

Kurzkommentare

Meine Meinung

News

Umfragen
Children of Men



Land: USA
Laufzeit: 110 Minuten
FSK: 16
Starttermin: 9. November 2006

Genre: Science-Fiction

Regie: Alfonso Cuarón
Drehbuch: Alfonso Cuarón, Tim Sexton, David Arata, Hawk Ostby
Darsteller: Clive Owen, Julianne Moore, Chiwetel Ejiofor, Charlie Hunnam, Danny Huston, Claire-Hope Ashitey, Peter Mullan, Pam Ferris, Sir Michael Caine
Kamera: Emmanuel Lubezki
Schnitt: Alex Rodriguez, Alfonso Cuarón
Musik: John Tavener








Die so genannte Zukunft in "Children of Men" sieht düster aus. Auf dem Papier in etwa so düster wie jene im 90er Mega-Hit "Independence Day". Doch während Roland Emmerich das Ende der Menschheit als lustig-Massenkompatibles Popcorn-Kino inszeniert, geht der Film von Alfonso Cuarón wirklich an die Substanz. Es ist ein kleines Meisterwerk, einer der besten Filme des Jahres 2006, den ausgerechnet der Regisseur von "Harry Potter und der Gefangene von Askaban", einer der schwächeren "Potter"-Verfilmungen, aus dem Ärmel zaubert. Und das ist "Children of Men" aus genau einem Grund: Er ist kein Film, sondern ein Erlebnis. Ein Erlebnis der zermürbenden und niederschmetternden Sorte.

Irgendwann im Jahre 2009 ist ein Baby auf die Welt gekommen, das den Namen Diego trägt. Ein gewöhnlicher Vorgang, oder? Etwas mehr als 18 Jahre später versetzt der Tod von "Baby Diego", dem bis dato jüngsten Menschen auf Erden, die gesamte Erdbevölkerung in einen Schockzustand. Vor knapp zwei Jahrzehnten sind sämtliche Frauen unfruchtbar geworden. Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, für das es keine Erklärung gibt. Eine Erklärung hat selbstverständlich auch Theo (Clive Owen), ehemaliger Aktivist und nun Regierungsbeamter, nicht parat. Um es mal deutlich zu sagen: Es ist ihm auch ziemlich egal, dass die Menschheit gerade ihrem Ende entgegen steuert. Auf offener Straße wird Theo von der von der Regierung als Terroristen bezeichneten Untergrund-Vereinigung "Fische" entführt. Ihre Anführerin, Theos Ex-Frau Julian (Julianne Moore), wartet mit einer besonderen Bitte auf: Er soll eine junge Frau an die Küste bringen, vorbei an den Kontrollpunkten der Regierung. Die Besonderheit dieses Auftrags offenbart sich Theo erst dann, als er die Besonderheit dieser Frau erkennt: Sie ist im achten Monat schwanger.

In dieser Zukunft möchte man nicht leben. Die Handlung spielt im Großbritannien des Jahres 2027. Während die gesamte restliche Welt im Chaos versinkt, vermag einzig die britische, streng autoritäre Regierung die Ordnung noch einigermaßen aufrecht zu erhalten. Sämtliche Flüchtlinge werden in Käfigen gehalten, wahlweise auch ermordet, oder zusammen mit vielen anderen in speziellen Stadtteilen untergebracht. Zahlreiche Rebellengruppen proben den gewaltvollen Aufstand. Die "Fische" sind in sich zerstritten und machen bald selbst Jagd auf Theo, die Schwangere und das ungeborene Baby. All dies sollte man ergänzend wissen, um zu verstehen, dass Theos Auftrag einem Himmelfahrtskommando gleich kommt. Wohin er die Frau eigentlich bringen soll? Zum Schiff "Tomorrow", gesandt vom "Human Project", einem Zusammenschluss von Wissenschaftlern, der sich für den Erhalt der Menschheit einsetzt. Dumm nur, dass kein Mensch weiß, ob es das "Human Project" denn überhaupt gibt.

Im Film existiert keine einzige Szene, die in Abwesenheit von Clive Owen stattfindet. Man kann es nun so formulieren, dass man praktisch selbst zu Theo wird, man kann es aber auch dabei belassen, dass man bald beginnt, sich als eine Art Begleiter der Hauptperson zu sehen. Jemand, der stillschweigend folgt, und im Grunde genau so schlau ist wie die verfolgte Person. Jemand, der eigentlich nicht mehr in einem Kinosaal sitzt, sondern schon längst den Weg auf die Leinwand gefunden hat. Jemand, der nicht die filmische Verarbeitung einer fiktiven Zukunftsversion der Autorin P. D. James aus dem Jahre 1993 sieht, sondern die vermeintlich gegenwärtige Realität. Alles an "Children of Men" fühlt sich einfach so unglaublich echt an. Doch wie ist das möglich?

Es ist der unmittelbare Zugang zu den Figuren und der packende Realismus, der sich in vielerlei Hinsicht zeigt. Punkt 1: Menschen sterben - so wie im wahren Leben - dann, wenn man am Wenigsten damit rechnet. In diesem Film werden nicht die Bauern geopfert, sondern gleich die Türme. Besonders der Tod einer der zentralen Figuren geht einem aufgrund des urplötzlichen Eintretens und der drastischen Härte durchs gesamte Mark. Auch sterben wichtige und sympathische Menschen hier weder in Würde, noch auf einer "schönen" Art und Weise. Lieb gewonnene Charaktere werden brutal ermordet oder deren Zukunft durch das Überstülpen eines schwarzen Sacks nur angedeutet, bevor sie für immer von der Bildfläche verschwinden.

Punkt 2: Ehrlichkeit gegenüber dem Zuschauer. "Children of Men" ist zwar kein ungenießbares Gemetzel, in dem Gedärme und Extremitäten durch die Gegend fliegen, jedoch zeigt es das, was geschieht. Angedeutete Kopfschüsse; Wegblendungen, bevor es ernst wird - das findet man hier nicht. Cuarón lässt es nicht zu, dass man die Augen vor der Brutalität dieser Zukunft verschließt. So wie Theo all die Grausamkeiten mit ansehen muss, muss sie auch der ihn begleitende Zuschauer über sich ergehen lassen. Doch schleicht sich auch nie das Gefühl ein, dass diese Härte übertrieben ist. Sie gehört dazu. Mal steht sie im Mittelpunkt, mal findet sie am Rande des Bildes statt. Dadurch, dass Cuarón dem Zuschauer nicht die Bilder dessen verweigert, was geschieht, erzeugt er dieses Gefühl der unmittelbaren Einbeziehung in das Geschehen.

Am Meisten ausschlaggebend für das Zustandekommen dieses Gefühl ist aber eigentlich Punkt 3, die wohl größte Meisterleistung dieses Werkes, die vor allem den Darstellern, Regisseur Cuarón und Kameramann Emmanuel Lubezki in den Mittelpunkt rückt. Wie schafft man es am Besten, dem Zuschauer das Gefühl zu geben, nichts vorenthalten zu bekommen, alles mitzuerleben, mit dabei zu sein? Ganz einfach: Man nehme exakt eine Kamera und verzichte minutenlang auf einen Schnitt.

Es gibt mehrere dieser Szenen, bis zu etwa vier Minuten ohne einen einzigen Schnitt, und es sind zweifelsfrei die besten Momente des Films. Für eine mehrere Minuten lang ungeschnittene Szene in einem fahrenden Auto wurde extra eine Spezialkamera entwickelt, um dies zu ermöglichen. Abgeschossen wird der Vogel jedoch im positiven Sinne in einer Sequenz gegen Ende des Films, deren Intensität es locker mit jener in Steven Spielbergs berühmter Anfangssequenz aus "Der Soldat James Ryan" aufnehmen kann. Theo, die junge Frau und einige weitere Personen sind auf dem Weg Richtung "Tomorrow", während um sie herum ein Krieg zwischen Polizei und Rebellengruppen tobt. Kugelhagel, Explosionen, bestimmte unerwartete Ereignisse, massenweise umfallende Widerstandskämpfer - eine einzige Kamera fängt all das in etwa vier Minuten ein, in denen kein einziges Mal geschnitten wird. Die organisatorische Meisterleistung, die dahinter steckt, ist in Worte nicht zu fassen. Es handelt sich hierbei um eine der beeindruckendsten Szenen der letzten Jahre, die mich dazu veranlasst hat, mich ganz tief in meinen Kinosessel zu verkriechen. Es stockte der Atem. Absolute Genialität.

Man kann nun noch auf die Schauspieler zu sprechen kommen, die gerade in den Hauptrollen, allen voran natürlich Clive Owen, perfekt besetzt wurden, auf die beängstigend real wirkenden Schauplätze, oder auf den gerade im späteren Verlauf atmosphärischen Soundtrack. Doch der größte Lob gebührt eindeutig der überragenden Kameraführung und Regisseur Cuarón. Die Intensität von "Children of Men", das Gefühl des unmittelbaren Mit-Dabeiseins, wird wohl für sehr lange Zeit erst einmal unerreicht bleiben. In diesen 110 Minuten feiert der düstere Science-Fiction-Film eine kleine Wiederauferstehung. Aus handwerklicher Sicht ist das Gesehene wegweisend.



Note: 1



Start


zur Hauptseite

Intern


Forum

Gästebuch

Impressum