Der Untergang
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Land: |
Deutschland |
Laufzeit: |
155 Minuten |
FSK: |
12 |
Starttermin: |
16. September 2004 |
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Genre: Historien-Drama
Regie: |
Oliver Hirschbiegel |
Drehbuch: |
Bernd Eichinger |
Darsteller: |
Bruno Ganz, Juliane Köhler, Alexandra Maria Lara, Ulrich Matthes, Corinna Harfouch,
Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann, Ulrich Noethen,
Michael Mendl, André Hennicke, Birgit Minichmayr, Justus von Dohnanyi |
Kamera: |
Rainer Klausmann |
Schnitt: |
Hans Funck |
Musik: |
Stephan Zacharias |
"Nazi-Deutschland" - ein Begriff, vielmehr eine Last, die uns wohl niemals von den Schultern genommen wird. Noch 60 Jahre nach der Schreckensherrschaft Hitlers kommt dieses Thema immer wieder zur Sprache, aktuell in Folge der Ergebnisse der Landtagswahlen, aufgrund des Erfolges einer gewissen braunen Partei. Inwiefern ein Film, der sich ausschließlich mit dieser Thematik befasst, zur Bewältigung des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte beitragen kann, dürfte sicherlich zu starken Kontroversen führen. Regt er nur unnötig zu Diskussionen an oder erweist er sich als eine ernsthafte Hilfe dabei? Liefert er mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Personen eine tolle Hitler-Show und greift ein "verbotenes" Thema auf? Unterschiedlichste Meinungen sind garantiert…
Am 30. Januar 1933, vielleicht auch schon viel eher, nimmt das Schicksal seinen unheilvollen Lauf. In einer Phase der sozialen Not und Spannungen, wirtschaftlichen Probleme, des Zorn auf die Anlastung der alleinigen Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg und der Angst vor dem Kommunismus gelingt es einer Partei, der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), die Massen zu mobilisieren und immer größere Mengen der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. An jenem Tag tritt ein 1889 in Österreich geborener Veteran des Ersten Weltkrieges sein Amt als Reichskanzler Deutschlands an. In Folge der Gleichschaltung, welche zum Beispiel die Einrichtung von Konzentrationslagern und dem Verbot des Zusammenschlusses und der Fortführung von Parteien, welches besonders die SPD hart trifft, umfasst, sichert sich Adolf Hitler, der Führer, die uneingeschränkte Macht, steigt neben seinem Posten als Parteichef zum Staatsoberhaupt auf und hat zudem den Oberbefehl über die Reichswehr inne. Der Hass auf die Juden, welchen er den Drang zur Weltherrschaft unterstellt, sowie sein "Lebenskampf", welcher die arische Rasse empor hebt, gehören zu seinen Grundauffassungen. Die expansive Außenpolitik Hitlers führt schließlich, gut 20 Jahre nach dem Ende des Ersten, zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.
Denn mit dem Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 beginnt eben dieser, provoziert die Kriegserklärungen Frankreichs und Englands an Deutschland. Die deutsch-sowjetisch-italienische Kriegsgemeinschaft erzielt erste Erfolge in Frankreich, Skandinavien und Afrika. Doch am 22. Juni 1941 bricht Deutschland den Hitler-Stalin-Pakt, ein Nichtangriffspakt, und greift die Sowjetunion an - der Anfang vom Ende. Während die deutschen Truppen im Osten auf verlorenem Posten stehen, sehen sie sich zusätzlich den britischen und amerikanischen Luftangriffen ausgesetzt. In Italien wird Mussolini gestürzt und somit die Angriffswucht der Italiener zerstört. Im Januar 1945 beginnt schließlich die sowjetische Offensive auf das Deutsche Reich, die Rote Armee marschiert unaufhaltsam Richtung Berlin vor.
Mit dem 56sten und somit letzten Geburtstag Hitlers setzt nun die Filmhandlung ein. Wir zählen also den 20. April 1945, doch zum Feiern ist dem Führer sicherlich nicht zu Mute. Stattdessen hat er sich in einen unter der Reichskanzlei gelegenen Bunker verschanzt und erlebt dort seine letzten Tage. Die sowjetischen Streitmächte rücken ihm immer näher und die Niederlage ist nur noch eine Frage von Tagen, maximal Wochen. Doch an Kapitulation und Waffenstillstand verschwendet Hitler keinen Gedanken, er schickt sein letztes Aufgebot, das sich auch aus Kindern zusammensetzt, in den Krieg, völlig desillusioniert von der Realität und glaubt weiterhin an eine Kriegswendung, die niemals in Sicht gewesen ist. Selbst seine Offiziere verspotten ihn insgeheim und seine treuesten Anhänger verweigern seine Befehle und führen eigenständig Waffenstillstandsverhandlungen. Doch auch der Führer gelangt an den Punkt, an dem ihm die tatsächliche Situation abseits aller Hirngespinste bewusst wird - der Untergang ist nah. Am 29. April heiratet er seine langjährige Lebensgefährtin Eva Braun und nimmt sich am Tag darauf gemeinsam mit ihr das Leben. Am 2. Mai kapitulieren zunächst die Truppen in Berlin, worauf die gesamtdeutsche Kapitulation am 8. Mai folgt.
Es werden also zwölf Tage einer Ära des Terrors und der Zerstörung erzählt und zwar aus der Sicht von Traudl Junge (Alexandra Maria Lara), der Sekretärin Hitlers. Zu Beginn verfolgt man, wie sie von Hitler eingestellt wird, zum Schluss, wie sie aus Berlin flüchtet. Als Hauptcharakter lässt sie sich nicht eindeutig identifizieren, jedoch spricht der relativ frühe Tod des Führers dafür. Denn wer erwartet, dass "Der Untergang" gleichzeitig mit dem Selbstmord Hitlers beendet ist, irrt gewaltig, es folgt noch eine knappe Filmstunde. Doch dies ist nicht der einzige Aspekt, im dem sich der Film von den Erwartungen der Zuschauer abkapselt, beziehungsweise gängige Regeln des Mainstream-Kinos ignoriert. So entfaltet sich die Dramatik und Anziehungskraft weniger in seiner Handlung, da diese gar keine Überraschungen beinhalten kann, sondern vielmehr in der schlichtweg überwältigenden Atmosphäre. Schon mit den einleitenden Worten der wahren Traudl Junge wird der Zuschauer in den Bann des Films gezogen - und zwar bis zum Schluss und sogar darüber hinaus (es sei denn, mitten im Film gehen urplötzlich die Lichter an und die Vorhänge zu). Mit einer Art Schuldbekenntnis Junges endet der Film und ich kann ehrlich behaupten, dass ich es noch nie erlebt habe, dass sich etwa 600 Zuschauer auch Sekunden über das Ende des Filmes hinaus ausnahmslos völlig ruhig verhalten haben.
Die Vorgehensweise ist sehr gewagt. Gleich zu Beginn, als Hitler äußerst freundlich mit Traudl Junge, welche sich als Sekretärin bewirbt, umgeht, wird klar, dass man hier nicht nur das Monster, sondern auch den Menschen Hitler zu sehen bekommt. Wie viel Mensch nun genau in ihm steckt, ist schwer nachzuvollziehen, jedoch lässt sich auch nicht bestreiten, dass er menschliche Momente hatte. Man erkennt, dass die Autoren enorm viel Wert darauf gelegt haben, Hitler nicht zu beurteilen und nicht als völligen Unmenschen beziehungsweise sympathischen Menschen darzustellen, er hat ganz einfach seine liebenswerten, als auch seine grausamen Momente. Verkörpert wird er genial von Bruno Ganz. Man könnte sagen, Ganz spielt Hitler nicht, sondern ist Hitler, aber ob das im Sinne des Schauspielers ist, darf sicherlich bezweifelt werden. Ohne Zweifel legt er die wohl beeindruckendste Performance des Kinojahres hin. Er schafft es tatsächlich, Sympathien auf sich zu ziehen, aber natürlich auch, den Zuschauer dazu zu bringen, ihn abgrundtief zu hassen. Selbst in den Momenten, in denen er Hitler außer sich vor Wut darstellt, ist einem ob der sensationellen Vorstellung Ganz' nicht ansatzweise zum Lachen zu Mute. Warum lachen? Nun ja, man kann gewisse Ähnlichkeiten mit der Stimme Donald Ducks feststellen.
Doch Ganz ist nur das i-Tüpfelchen eines grandios aufspielenden Schauspieler-Ensembles. Alexandra Maria Lara, welche die bereits erwähnte Traudl Junge darstellt, scheint ohne Mühe dazu in der Lage zu sein, 155 Minuten dem Film durch ihre ständige Präsenz den Stempel aufzudrücken. Neben ihr glänzen zwei weitere weibliche Darstellerinnen: Zum einen Corinna Harfouch, welche die kaltherzige, von Nationalsozialismus besessene Magda Goebbels darstellt und ihren Kindern eine Zukunft ohne eben diesen ersparen möchte und sie umbringt, bevor sie sich mit ihrem Mann das Leben nimmt. Zum anderen Juliane Köhler, welche Hitlers spätere Frau Eva Braun als eine heitere und lebensfrohe Person überzeugend darstellt. Propagandaminister Joseph Goebbels wird von Ulrich Matthes verkörpert, dessen Darbietung sich im Grunde auf eine sehr steife Darstellung Goebbels beschränkt, aber dennoch besonders beeindruckend wirkt. Heino Ferch spielt den Rüstungsminister Albert Speer, ist zwar nur wenige Minuten zu sehen, schauspielert in diesen aber äußerst effektiv. Man könnte die Liste ausgezeichneter Darsteller um Personen wie Ulrich Noethen (spielt SS-Führer Heinrich Himmler) und Christian Berkel (spielt Doktor Schenck) endlos fortführen, eine Schwachstelle ließe sich nur äußerst schwer ausmachen und ganz sicher nicht in den wichtigsten Rollen.
Diese großartige Ansammlung an hervorragenden Schauspielern trägt einen großen Teil zur gigantischen Authentizität des Filmes bei. Die meisten Personen, die von den Ereignissen in diesem Bunker berichten könnten, sind tot, doch als Zuschauer muss man nicht lange nachdenken und sagt schon sehr bald: "Ja, so wird es wohl damals abgelaufen sein". Zudem stützt sich Regisseur Oliver Hirschbiegel auf Tatsachenberichte, die dem Film weitere Glaubwürdigkeit verleihen. "Der Untergang" könnte eigentlich glatt als Dokumentation durchgehen, wogegen jedoch das Vorhandensein von Schauspielern spricht. Einen äußerst dokumentarischen Charakter besitzt der Film allemal und sicherlich ist es gerade diese Tatsache, die ihn zu einem absolut bewundernswerten Kinoerlebnis macht. Man wird den Kinosaal mit einem Gefühl verlassen, das man bereits 155 Minuten zuvor sehr intensiv erlebte, einem sehr mulmigen Gefühl. Jede einzelne Szene trägt dazu bei, dass sich der Nationalsozialismus förmlich im Kinosaal ausbreitet und einen nicht mehr loslässt. Hinrichtung, Selbstmord, Kinder im Krieg, Verrat, Machtspiele, Untergang - alles Begriffe, die sich in diesen Film einordnen lassen.
Die Filmkosten betragen etwa 13 Millionen Euro - und die merkt man dem Film auch an. In einem Bunker, der eine erstklassige Kulisse darstellt, sowie in Kriegszenen, die jedoch keineswegs die Oberhand übernehmen, sondern mit Bedacht eingesetzt werden. Ansonsten verzichtet Hirschbiegel auf irgendwelche absurden Experimente, setzt Musik wohldosiert ein und lässt sie niemals belastend erscheinen. Gedreht wurde übrigens in Russland. Wenn sich überhaupt etwas an diesem Film bemängeln lässt, dann ist es einzig die Altersfreigabe "ab 12", was dem Film an sich natürlich nicht anzukreiden ist. Kriegsszenen, Kopfschüsse, Hinrichtungen, in einer Szene steckt sich ein Soldat kurzerhand die Pistole in den Mund und drückt ab, hinter ihm spritzt das Blut gegen die Wand. Mehr Beispielen bedarf es wohl kaum, um diese Entscheidung ernsthaft in Frage zu stellen, sie dient vielleicht einzig dem Zweck, diesen wunderbaren Film einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Neben "Die Passion Christi" dürfte "Der Untergang" den wohl heiß diskutiertesten Film des Jahres darstellen. Die beiden Werke trennt jedoch ein gewaltiger Unterschied: Während sich Mel Gibsons Gewaltorgie qualitativ im Mittelfeld wieder findet, erschuf Hirschbiegel mit seinem Film ein wahres Meisterwerk. "Der Untergang" ist der wohl beste, vielmehr bedeutendste Film des bisherigen Kinojahres. Wer sich nur halbwegs für die Geschichte seines Landes oder gute Filme interessiert, darf sich diesen keinesfalls entgehen lassen. Aus den USA kommen monatlich neue Produktionen, die sich als Meilensteine ihres Genres bezeichnen und am Ende auf ganzer Linie enttäuschen. "Der Untergang" jedoch ist tatsächlich ein Meilenstein - für das deutsche Kino und für die Bewältigung der Thematik "Nazi-Deutschland". Danke für diesen Film.
Note: 1+
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