Emmas Glück
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Land: |
Deutschland |
Laufzeit: |
103 Minuten |
FSK: |
12 |
Starttermin: |
17. August 2006 |
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Genre: Drama
Regie: |
Sven Taddicken |
Drehbuch: |
Claudia Schreiber, Ruth Toma |
Darsteller: |
Jördis Triebel, Jürgen Vogel, Martin Feifel, Hinnerk Schönemann, Karin Neuhäuser, Nina Petri,
Arved Birnbaum |
Kamera: |
Daniela Knapp |
Schnitt: |
Andreas Wodraschke |
Musik: |
Christoph Blaser, Steffen Kahles |
Ein Monat Fußball-WM ist gleichzusetzen mit einer fünfwöchigen Sneak-Pause (Sneak = Überraschungsfilm vor Bundesstart) - man muss halt Prioritäten setzen. An Tag 1 nach dem Endspiel war es nun also mal wieder soweit und der Sinn stand mir nach seichter Unterhaltung ohne großes Nachdenken, aber dafür mit viel unfreiwilliger Komik - ich hoffe auf den dritten Teil der "The Fast and the Furios"-Reihe. Aber nein, der war es nicht. Stattdessen erschien der Schriftzug "Emmas Glück" in weißen Lettern vor schwarzem Hintergrund und das Bild einer Frau auf einer Farm eröffnete den Film. Die ersten Gedanken waren in etwa "Heimatfilm" und "Emmas Glück = Kitsch). Sehr schlecht gedacht, denn in der Sneak wird man meist nicht nur vom Film, sondern auch dessen Verlauf überrascht. Denn damit, dass diese Frau wenige Augenblicke später einem Schwein die Kehle durchschneidet und dieses anschließend in seiner eigenen Blutlache ertrinkt, war nicht zu rechnen. Auch nicht damit, dass sich "Emmas Glück" im Folgenden zum einzigen hervorragenden und somit besten Film entwickelt, der mir in einem halben Jahr regelmäßigen "Sneakens" untergekommen ist.
Die Dame mittleren Alters, die wir zu Beginn kennen gelernt haben, hört - wenig überraschend - auf den Namen Emma (Jördis Triebel). Sie ist im Besitz eines Bauernhofes, auf dem sie Hühner und Schweine hält, und gleichzeitig hoch verschuldet. Der Strom wurde ihr bereits abgestellt; eine Zwangsversteigerung in sechs Wochen droht, sollte sie das nötige Geld nicht auftreiben können. An anderer Stelle lernen wir Max kennen (Jürgen Vogel). Dieser sitzt einem Arzt gegenüber, der für ihn die niederschmetternde Diagnose bereithält, dass er innerhalb weniger Monate sterben wird. Max krallt sich das Schwarzgeld, das bei den Geschäften seines Autohandels, den er gemeinsam mit einem Freund betreibt, abfällt und will seine letzten Tage in Mexiko verbringen. Daraus wird jedoch nichts, da er von seinem Freund gestellt und verfolgt wird. Um der Erklärungsnot und seinem kümmerlichen Restleben zu entfliehen, entschließt er sich zur verstärkten Nutzung des Gaspedals. Nach der Wegnahme der Hände vom Steuer folgt in einer Kurve der Abflug.
Da so ein Film nach einer Viertelstunde kaum beendet sein kann, überlebt Max leicht verletzt und findet sich am nächsten Morgen auf dem Besitz Emmas wieder. Diese hat ihn in der Nacht aus dem Autowrack gezogen und verarztet. Anschließend sein Auto untersucht, sich des Geldes bemächtigt und das Wrack in Brand gesetzt, um es so aussehen zu lassen, als wäre das Geld bei einer Explosion infolge des Aufpralls zerstört worden. Emma lebt von nun an mit einer Lüge, Max mit einem schmerzlichen Geheimnis. Verschiedener könnten beide kaum sein, doch die Einsamkeit verbindet sie. Von Tag zu Tag jedoch verschlimmert sich Max' Zustand und irgendwann ist er nicht mehr der Einzige, der sich seines baldigen Todes bewusst ist.
Vielen deutschen Produktion - spezialisieren wir uns mal auf Komödien und Dramen - mangelt es weder an Charme und Witz, noch originellen Ideen oder Ausgangslagen. Meist jedoch scheitern sie dadurch, sich ab einem gewissen Zeitpunkt unnötigerweise überstrapazierten Klischees hinzugeben, in qualvollem Kitsch zu versinken oder durch sonstige überflüssige Aussetzer den Filmgenuss zu trüben. "Emmas Glück" bildet eine wohltuende Ausnahme. Das Szenario ist relativ unverbraucht; die Dialoge sitzen; genial-kreative Momente, wie man sie aus deutschen Filmen kaum kennt, bestimmen regelmäßig das Geschehen und - besonders wichtig - die Charaktere lassen mit ihrer Lebensnähe die schwulen Cowboys wie Soap-Figuren aussehen.
Dem Zuschauer fällt es besonders schwer, zu Emma eine Bindung aufzubauen, was jedoch keinesfalls negativ gemeint ist. Jahrelang hat sie einsam auf dem Bauernhof gelebt. Ihre Kleidung entspringt der Steinzeit, Körperpflege und Ordnung sind Fremdwörter, Gäste empfängt sie mit der Schrotflinte und ihre Befriedigung holt sie sich auf einem kleinen Trucker mit Motorschaden. So verwundert es nicht, dass sie Max in der Nacht nach dem Unfall, während seiner Ohnmacht, von unten bis oben begutachtet und an ihm herum schnüffelt. Der Charakter Max kommt ohne solch eher gewöhnungsbedürftigen Eigenschaften aus. Es reicht, dass so ein netter Mensch nicht ein glückliches Leben, sondern das baldige Ableben vor Augen sieht. Die Interaktionen dieser beiden Charaktere sind zu jeder Zeit absolut glaubwürdig und selbst Kitsch erhält hier nicht mal ansatzweise die Möglichkeit, sich zu entfalten.
"Emmas Glück" macht einem die Genreeinteilung nicht einfach. Einerseits geht der Film durchaus als "Tragikomödie" durch. Schwerpunktmäßig in diesem Fall zwar "Tragik", jedoch aufgrund seines ausgiebigen Humors nicht zu 100 Prozent ein Drama. Die Bezeichnung "Drama" hingegen verdient es sich andererseits eigentlich schon dank der Grundkonstellation: dem todkranken Max. Glücklicherweise springen in Filmen wie diesen nicht einfach die Wunderheiler aus dem Busch, um den Zuschauer mit einem Happy End zu entlassen. Von Anfang an ist klar, womit dieser Film enden wird. Und sollte man dies aus den Augen verlieren, so ruft Max' zunehmend verschlimmerter Zustand dies immer wieder in die Erinnerungen zurück. "Emmas Glück" entwickelt sich besonders in der zweiten Hälfte von einem guten zu einem richtig guten Film. Doch mit dem Ende werden sämtliche gelungenen Szenen noch einmal übertroffen. Es ist wahrscheinlich kein Ende, das in dieser Form so zu erwarten war, doch ist es rückblickend eigentlich schon fast das Logischste. Es ist grausam und so werden sich die Meinungen des Publikums daran spalten. Der eine Teil wird sich abgestoßen fühlen, der andere damit kämpfen, die Tränen zu verbergen, falls er diesen Kampf nicht schon längst verloren hat. Wenn der deutsche Film eines beherrscht, dann dies: zu berühren.
Dem Gott sei für die Sneak Preview gedankt. Im regulären Programm wäre diese deutsche Film-Perle sicher nicht auf meiner To-Watch-Liste erschienen. Ich bin mir sicher, dass dieser Film aufgrund jetzt schon vorhandener überschwänglicher Kritiken sowie hoffentlich spätestens ab Filmstart einsetzender positiver Mundpropaganda sein Publikum finden wird. Natürlich wird "Emmas Glück" nicht jeden Geschmack treffen, vor allem nicht den der jungen Zuschauerschaft. So viel Echtheit könnte das von Charakteren aus der Klischeekiste "verwöhnte" Kinovolk irritieren. Sei's drum. Wer diesen Film gesehen hat, wird sich vermutlich nicht beschweren können, auch wenn die Thematik nicht zu anschließenden Jubelarien einlädt. Immerhin erleichtert uns der Humor ein wenig das Verdauen des Gesehenen und trotz des bitteren Endes strahlt dieser Film Hoffnung aus. Und Hoffnung darf er sich machen, in einem halben Jahr von mir als "bester deutscher Film 2006" bezeichnet zu werden.
Note: 1-
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